Stellungnahme zum Grundsatzurteil zum § 217

Der Mensch habe das Recht und die Freiheit, sich das Leben zu nehmen – auch mit Hilfe von Dritten, so das Urteil der Verfassungsrichter. Und das gelte ausdrücklich für jeden, nicht nur für unheilbar Kranke.

Hören Sie dazu auch den Beitrag von Radio Bremen im Gespräch mit Dr. Willenbrink.

Radio Bremen Interview

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das vor 4 Jahren vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Hilfe beim freiverantwortlich gewählten Suizid bei schwerstkranken Menschen verfassungswidrig ist. Hintergrund der Entscheidung war, dass sowohl Sterbehelfern als auch Sterbehilfevereinen und Ärzten, die dieses geschäftsmäßig – also auf Wiederholung angelegt – betreiben, verboten ist.
Ein weiterer Grund für die jetzige Entscheidung war, dass eine Hilfe beim Suizid nicht nur bei Schwerstkranken angewendet werden dürfe, sondern jeder das Recht haben solle, aufgrund seiner Autonomie frei zu entscheiden, wann er aus dem Leben scheiden wolle.
Das Bundesverfassungsgericht sagt dazu in seiner jetzigen Urteilsbegründung: Der Mensch habe das Recht und die Freiheit, sich das Leben zu nehmen – auch mit Hilfe von Dritten. Und das gelte ausdrücklich für jeden, nicht nur für unheilbar Kranke. Das Urteil wurde einerseits mit großer Erleichterung aufgenommen, andererseits reagieren andere besorgt – und sprechen von einem dramatischen Wendepunkt für die Gesellschaft.

Nach diesem Urteil bleiben viele Fragen offen. Einige seien hier erwähnt:
Hat das Selbstbestimmungsrecht die höchste Priorität?

  • Die Richter des Bundesverfassungsgerichts fordern den Gesetzgeber auf, der missbräuchlichen (gewerblichen) Suizidhilfe Einhalt zu gebieten. Bei der Einführung des § 217 sei richtigerweise erwogen worden, dass „von einem unregulierten Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe" auch „Gefahren für die Selbstbestimmung ausgehen" könnten. „Häufiges Motiv", schreiben die Richter, sei erwiesenermaßen die Angst, Angehörigen oder Dritten „zur Last zur fallen." (siehe, „der Freitag", Die Wochenzeitung vom 26.2.2020)

Können Sterbehilfevereine oder Sterbehelfer die wahren Nöte sowohl aus ethischer als auch aus medizinischer Sicht adäquat beurteilen? Brauchen wir Qualitätskriterien für Sterbehelfer?

  • Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber die Möglichkeit offengelassen, entsprechende Richtlinien zu erarbeiten. 

 

Was passiert, wenn der Suizid mit dem vom Sterbewilligen eigenständig eingenommenen Medikament nicht so verläuft, wie er es sich vorstellt?

  • Es muss „Erste Hilfe" erfolgen.

Können Ärzte dazu verpflichtet werden, „das" entsprechende Medikament zu verordnen?

  • Nicht der Sterbehelfer oder der Sterbewillige können sich „das" Medikament verschreiben lassen, sondern nur ein Arzt, der dazu bereit ist. Dazu muss erst einmal das „Betäubungsmittelgesetz" geändert werden.
  • „Zudem hat jeder das Recht, Menschen bei der Verwirklichung eines Suizids im Rahmen des geltenden Rechts zu unterstützen – auch dieses Recht darf nicht in unverhältnismäßiger Weise beschränkt werden. Zu begrüßen ist allerdings die Klarstellung, dass niemand – eben auch keine Ärztinnen und Ärzte – zu einer solchen Hilfestellung gezwungen werden kann." (Heidrun Gitter, Präsidentin der Ärztekammer Bremen)

Gibt es bereits Erfahrungen im Ausland zum Assistierten Suizid?

  • In Holland beispielsweise ist dieser verboten, nicht jedoch die aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen), wenn dieses unter klaren Voraussetzungen stattfindet. Besorgniserregend sei, so ein niederländischer Richter, die Entwicklung dahin, dass überwiegend sogenannte lebensmüde Menschen nach der Tötung auf Verlangen nachfragen. Deutlich weniger Menschen, mit einer schwerwiegenden Erkrankung.

Ist die Palliativmedizin eine sichere Alternative zum assistierten Suizid?

  • Die Palliativmedizin kann vielen Menschen mit einer lebenslimitierenden Erkrankung eine sinnvolle Unterstützung sein, um ein Leiden adäquat zu reduzieren. Denen, deren Leiden sich nicht auf ein körperliches und seelisches zurückführen lässt, kann sie Hilfe bieten hinsichtlich einer Beratung.
  • Palliativmedizinisches Handeln gehört jedoch in allen medizinischen Disziplinen etabliert, so dass in besonderen Situationen auch einem seelischen Leidenden geholfen werden kann.
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Der Förderverein Palliativstation am Klinikum Links der Weser spricht sich dafür aus, dass das jetzige Urteil für diejenigen, die an einer schweren Erkrankung und an deren Folgen leiden, eine Rechtsicherheit bedeutet, wenn sie mit ihrem Arzt darüber reden können. Wir sind uns im Klaren, dass die Palliativmedizin nicht für alle eine Option ist und er/sie diese selbstverständlich auch ablehnen kann. Palliativmedizin richtet sein Augenmerk auf „Schwerstkranke". Sie unterstützt Ärzte, die sich in schwierigen ethischen Entscheidungsfindungen befinden durch Beratung.

  • Die deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und der Förderverein Palliativstation am Klinikum Links der Weser sind zu der Erkenntnis gekommen, dass die gesamte Berichterstattung rund um das Karlsruher Urteil eins deutlich gemacht hat: Gerade aufgrund der Tragweite dieser Entscheidung ist es nun zwingend notwendig, die Palliativmedizin in allen Bereichen, von Forschung bis zur allgemeinen Palliativversorgung, umfangreich weiterzuentwickeln und die Aus-, Fort- und Weiterbildung aller im Gesundheitswesen Tätigen voranzutreiben. Darüber hinaus ist wichtiger denn je, eine breit angelegte Aufklärung der Öffentlichkeit zu den Möglichkeiten der Palliativ- und Hospizversorgung zu befördern.

Wenn Sie Fragen rund um das Thema „Palliativmedizin" haben, nehmen Sie Kontakt mit der Geschäftsstelle des Fördervereins auf: foerderverein@palliativ-bremen.de


Dr. med. Hans-Joachim Willenbrink Für den Vorstand